Die Erleichterung darüber eine Sparlösung aus dem Mangel an materiellen Mitteln, ausgebildeten Architekten, Landschaftsplanern und Handwerkern für alle gefunden zu haben, ist dabei sich zu rächen. Nun ist diese eigentliche Notsituation lange vorbei. Es gibt ein großes Potential an Architekten, Städteplanern, jedes erdenkliche Material ist erhältlich und Handwerker wenn man sie ruft. Von dieser Fülle ist aber zu wenig im Stadtteil angekommen. Proportional zur mangelnden inspirativen Genialität entstehen nun Kosten der Beatmung des Viertels. Dazu braucht es mehr als einen Planer/ Denker, etwa so viele, wie nötig gewesen wären die Wohnungen und fehlenden Arbeitsstätten in Einzelplanung zu errichten.
Wir brauchen professionelle Hilfe, von unabhängigen Instanzen, welche die Expertise darin haben Prozesse mit der Bevölkerung emphatisch zu katalysieren, um das Viertel aus seiner Erstarrung zu verflüssigen. Unter den möglichen Disziplinen schlage ich dazu vor, Künstler als Pioniere damit zu beauftragen, die ein nachweisliches Interesse an solch einem beschriebenen Zustand vorweisen können.
Bestandsaufnahme
Die Ausgangssituation ist substanziell schlecht. Diese jüngsten Sanierungen, die ohne Geschosshöhenverringerung auskommen, betreffen Wohnungsgrundrisse und die Außenhaut, deren Dämmung und Spritzputz nebst fantasieloser Bemalung. Unter dieser kann der jetzt kaschierte und strukturierte Beton nun nicht mehr in der Witterung altern.
Die kunststofffarbene Oberfläche des Gebäude-Bestands wird künftig also nur gammelig werden, wenn nicht bald ein schützendes Fell mit Fassadenbegrünungen das Auge ein wenig schmeicheln möchte.
Weder die lieblos gepflegten, wenig verlockenden Grünanlagen, noch Dekorationen mit plastischen Arbeiten, werden eine schlechte Torte geschmacklich verändern.
Wir leben mit einer nicht erlebbaren, nicht umgesetzten Entwicklungsidee oder mit einer nur schwer zu akzeptierenden, in diesem Kiez, welcher von Rostock aus, in eine Niederung geplant und mit Hilfe von 2 Dutzend ferngesteuerten Architekten am Tatort umgesetzt wurde. Ihm fehlen bis heute wertige Kristallisationspunkte. Die Shopping Mall ist es nicht, die Christuskirche vielleicht, liegt aber aus Gründen in einer Randlage.
Es gibt nur wenige sichtbare Zeugnisse aus der Zeit vor der Großsiedlung, die vorwiegend auf unbesiedelten Wiesen, Äckern und dem Gut Koitenhagen entstand. Das Militärkrankenhaus, einige Wegfragmente aus Beton im Stadtpark, angrenzend zum Ostseeviertel einen kleinen aus Naturstein errichteten Turm und eben der eingegrabene Bach mit dessen Regenwassersammlern zeugen von einer Vorgeschichte vor „Schönwalde 2“.
Ein nicht unbekanntes Symptom ist das Fehlen des Respekts an der Vorgeschichte und es wirkt so, als ob überhaupt mit einer großen Respektlosigkeit an allem, auch an in den solchen Bauten leben Müssenden, fortdauernd existiert.
Das mag dem Zeitgeist (auch in den 1960-70ern Westdeutschlands) entsprochen haben, den „totalen“ Bruch zur Vergangenheit auch sichtbar in Architektur zu manifestieren, was mit Erfolg umgesetzt wurde. Genau dieser Bruch mit der Vergangenheit, hat auch gute Bedingungen, die vorher vorhanden gewesen waren/ wären, abgeräumt und das ist nun, wie andernorts auch, hier unsere große Herausforderung, wie wir zeitnah diese Wertschätzung zurück IN unser Leben IN Schönwalde hinein bringen. Kritiken und Lösungsvorschläge daran wurden spätestens seit den ersten errichteten Neubaugebieten dieser Art laut – vor 40 Jahren. Wir sind mit dieser Erfahrung hierzulande und international nicht allein.
Greifswalds Lobby, die Großsiedlungen Schönwaldes 2 als unbequeme Wirklichkeit anzuerkennen, ist unhörbar, anstatt dessen wird, wenig feinfühlig auf Landmarks und Bewohner, konquistadorisch um diese herum geplant und die, auf dem trocken gelegten, meliorierten Schönwalde 2, Angesiedelten, sind, auf tragische Weise aus dem städtischen Bewusstsein verdrängt und haben keine Teilhabe an der hanseatisch postulierten Freiheit der persönlichen Entfaltung. Mit dem Systemumbruch von 1989 und der Schließung des KKWs ist hier auch ein Zwischen- und Endlager in Greifswald für viele entstanden, mit denen bis zum Abklingen ihrer letzten Lebenszeichen und bis zum Verfall des Viertels nicht mehr gerechnet wird und um das man am besten einen Bogen schlägt um sich mit deren Alltagsumgebung nicht konfrontieren zu müssen.
Niemand aus den Nachbarvierteln kommt in den Stadtteil, weil außer seinen armseligen hier gestrandeten Bewohnern nichts existiert, was es nicht andernorts auch besser gibt. Ohne „Schönwalde 2“ lebt es sich auch gut in Greifswald.
Das bisherige scheinbare Konzept, „Baulücken“ mit einer „Achse der Gesundheits- und Ausbildungsindustrie“ zu „füllen“, nimmt ebenso wenig Rücksicht auf die Topologie des Siedlungsareals wie die Planungen zu Zeiten der DDR. Die Stadt hat nun auf dem Stadtplan kurze Wege, aber es ist anzuzweifeln ob es kurze und auch genutzte Verbindungen zwischen den neu entstandenen Arbeitsstätten und den Schönwaldern gibt, die über den Gebrauch als Transitstrecke oder gelegentliche Spaziergänge hinaus gehen.
Das ehemalige Militärkrankenhaus war nach den landwirtschaftlichen Betrieben auf den Wiesen und neben dem Volksstadion der zweite Siedler nach dem Gut Koitenhagen und wurde vom Ostseeviertel und Schönwalde umbaut. Es grenzte im DDR Reich die neue und danach die alte Nachbarschaft aus. Die Seniorenresidenz auf dem Gelände ist in Folge eine „gated community“ in Greifswald, mit nur sporadisch versteckten und verriegelten Toren im Zaun.
Das Berufsbildungswerk in kreisförmiger Anordnung scheint („Wenn der Architekt nichts weiß, dann macht er einen Kreis“) sich in jeder Umgebung wohl zu fühlen und ist unfähig – bis auf 2 notgedrungene (und sichtlich ungeplante und geduldete) Durchlässe im Zaun – nach außen zu korrespondieren. Vielleicht hatte das Planungsbüro sich davor gefürchtet, sich mit dem Viertel auseinander setzen zu müssen und wollte die künftigen Auszubildenden vor der Schroffheit, der zu dem Zeitpunkt unsanierten tristen Bausubstanz, schützen? Immerhin hat das Planungsteam des BBW bewusst oder unbewusst einen Kunstmäander im Park anlegen lassen, der wie ein Geist des ehemaligen Bachs das Grün durchläuft. Dem Planungsteam des BBW die alleinige Verantwortung für diese Entwicklung zu geben wäre allerdings ungerecht.
Von beiden als Solitäre, jeder mit eigenem Symbolgehalt, errichteten Arealen geht die Art von DDR-Mauerdenken aus, das – bis heute – ein Konfliktlösungsverhalten einer zu erahnenden Parallelrealität und echter geografischer Nachbarschaft rigoros ignoriert, anstatt das Verbindende und Synergien zu suchen.
Mit der jüngsten Errichtung des Gebäudes der Wirtschaftsakademie Nord in der Senke des Ketscherinbachs hat Greifswalds Stadtregierung die Fortsetzung des Plans erreicht und den letzten noch verbliebenen Freiraum am Stadtpark als Bauland ausgewiesen und diesen Entwicklungsraum von seinen Anwohnern konfisziert. Man hat die Wirtschaftsakademie Nord gebaut, aber was nutzt es dem Viertel wirklich? Gibt es eine Osmose zwischen der Akademie und den Bewohnern?
Der Raum für unsere (ich spreche als Bewohner) lebensnotwendigen und -bejahenden Entfaltungsmöglichkeiten schrumpft auf Null.
Vorschlag
Auf dieser Fläche, auf der die Wirtschaftsakademie Nord nun steht, hätte um die Sporthalle herum eine Verbindung zum Stadtpark hergestellt werden müssen. Auch wenn die Wirtschaftsakademie ein Neubau ist, so sollte dieser in die Überlegungen des mittelfristigen Rückbaus mit eingeschlossen werden um eine Verbindung des Stadtparks in Schönwalde 2 zu schaffen.
Die Senke des Ketscherinbachs wäre dazu geeignet diese Verbindung zum Stadtpark aufnehmen. In allen Städten sind mit Bäumen gesäumte, mäandernde Wasserläufe, selbst auf schmalen Bändern, Erholungsräume, welche einen Stadtteil bronchial beatmen und Fußgänger, wie Radfahrer, stadtteilübergreifend diffundieren lassen und zwar auch in das Viertel hinein oder hindurch.
Die Chance kleinere Wasserläufe als Wegweiser für die für Stadtentwicklung anzuerkennen, nicht nur in Schönwalde 2, wurde in Greifswald bisher noch nicht wahr genommen, ignoriert oder in ihrer Wirkung unterbewertet, anstatt dessen lieferten als Grenzen der Vorstellung einzig die Ausfallstraßen und von der DDR für wertvoll befundene Gebäude (Krankenhäuser, Militärgebäude) die Ideen zur Stadtentwicklung im Osten, nicht jedoch die Geländemarken.
Die Idee der Anerkennung und Sichtbarmachung des Ketscherinbachs als Ausweg aus dem zu Beton geronnenen Stadtteil, wäre ein Schritt dahin, Dynamik zwischen den Häusern zu schaffen und zu mehr Wahrnehmung von Schönheit und Entfaltung zu ermutigen um endlich aus der Ausweglosigkeit zu führen.
Auftrag
Vor der Wertschöpfung kommt die Wertschätzung. Die Bewusstmachung des Streitwerts des eigenen Biotops mit künstlerischen Mitteln, ein Appell gegen die Selbstaufgabe und Ermutigung auf eine erfüllbare Sehnsucht der Bewohner auf ein besseres Umfeld am derzeitigen Wohnort, anhand des Ketscherinbachs und dessen Zuflüssen.